Deine aktuelle Situation kann beschrieben werden als "Die Auflösung" und transformiert sich in "Der Streit".
Vor Dir liegt "der Wind" - dieses Element transformiert sich in "der Himmel". Das bedeutet, dass Durchdringung und Geschäfte umgewandelt wird in Kraft und Gesundheit, Aktivität und Bewegung. Hinter Dir liegt "das Wasser", dieses Element repräsentiert Gefahr, das Unbekannte, eingestellte Aktivität.
Die Situation
59. Huan - Die Auflösung Oben (vorne): Sun - das Sanfte (der Wind) Unten (hinten): Kan - das Abgründige (das Wasser)
Kommentar von Richard Wilhelm:
Der Wind, der oben über das Wasser fährt, zerstreut es und löst es auf in Schaum und Dunst. Darin liegt auch der Gedanke, daß die Lebensenergie, wenn sie sich im Menschen staut (was durch die Eigenschaft des unteren Zeichens als Gefahr angedeutet ist) durch die Sanftheit wieder zerstreut und aufgelöst wird.
Das Urteil für die aktuelle Situation
Die Auflösung. Gelingen. Der König naht seinem Tempel. Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren. Fördernd ist Beharrlichkeit.
Kommentar von Richard Wilhelm:
Das Zeichen hat in seinem Text Ähnlichkeit mit dem Zeichen Tsui, Die Sammlung« (Nr. 45). Dort handelt es sich um Sammlung des Getrennten, wie das Wasser sich in Seen auf der Erde sammelt. Hier handelt es sich um Zerstreuung und Auflösung des trennenden Egoismus. Das Zeichen »die Auflösung« zeigt sozusagen den Weg, der zur Sammlung führt. Daher erklärt sich die Ähnlichkeit des Textes.
Zur Überwindung des trennenden Egoismus der Menschen bedarf es der religiösen Kräfte. Die gemeinsame Feier der großen Opferfeste und Gottesdienste, die zugleich den Zusammenhang und die soziale Gliederung von Familie und Staat zum Ausdruck brachten, war das Mittel, das die großen Herrscher anwandten, um die Herzen in gemeinsamer Wallung des Gefühls durch heilige Musik und Pracht der Zeremonien zum Bewußtsein des gemeinsamen Ursprungs al1er Wesen zu bringen, wodurch die Trennung überwunden, die Erstarrung aufgelöst wurde. Ein weiteres Mittel ist das Zusammenwirken an gemeinsamen großen Unternehmungen, die dem Willen ein großes Ziel vorhalten und in der Richtung auf dieses Ziel alles Trennende auflösen, wie in einem Schiff, das einen großen Strom durchquert, alle Insassen sich in der gemeinsamen Arbeit einigen müssen.
Zu solcher Auflösung der Härte des Egoismus ist aber nur jemand fähig, der selbst von allen egoistischen Nebengedanken frei in Gerechtigkeit und Beständigkeit verharrt.
Das Bild der aktuellen Situation
Der Wind fährt über das Wasser: das Bild der Auflösung. So opferten die alten Könige dem Herrn und bauten Tempel.
Kommentar von Richard Wilhelm:
Das Wasser beginnt im Herbst und Winter zu erstarren und zu Eis zu gefrieren. Wenn die milden Lüfte des Frühlings kommen, löst sich die Erstartung, und das in Eisschollen Zerstreute vereinigt sich wieder. So ist es auch mit dem Sinn des Volkes. Durch Harte und Selbstsucht erstarrt das Herz, und in dieser Erstartung trennt es sich von allem andern. Egoismus und Habsucht isolieren die Menschen. Darum muß eine fromme Rührung das Menschenherz ergreifen. Es muß gelöst werden in heiligen Schauern der Ewigkeit, die es erschüttern durch die Ahnung des gemeinsamen Schöpfers aller Wesen und einigen durch die Macht der Gemeinschaftsgefühle bei der heiligen Feier der Anbetung des Göttlichen.
Interpretation der veränderlichen Linien
Line 4: Er löst sich von seiner Schar. Erhabenes Heil ! Durch Auflösung folgt Anhäufung. Das ist etwas, an das Gewöhnliche nicht denken.
Kommentar von Richard Wilhelm:
Wenn man an einer Aufgabe arbeitet die ins große Ganze geht muß man alle Privatfreundschaften beiseite lassen. Nur wenn man über den Parteien steht, leistet man etwas Ausschlaggebendes. Wer diesen Verzicht auf das Nahe wagt, wird die Fernen gewinnen. Aber man muß einen weiten Überblick über die Zusammenhänge des Lebens haben, wie ihn nur ungewöhnliche Menschen erlangen, um diesen Standpunkt verstehen zu können.
Die Zukunft
6. Sung - Der Streit Oben (vorne): Kien - das Schöpferische (der Himmel) Unten (hinten): Kan - das Abgründige (das Wasser)
Kommentar von Richard Wilhelm:
Das obere Urzeichen, dessen Bild der Himmel ist, hat die Bewegungsrichtung nach oben, das untere Urzeichen »Wasser« ist seiner Natur nach abwärts gerichtet. Die Bewegungsrichtungen der beiden Hälften gehen auseinander, das ergibt den Gedanken des Streites.
Die Eigenschaft des Schöpferischen ist die Stärke, die des Abgründigen die Gefahr, Hinterlist. Wo List Gewalt vor sich hat, da gibt es Streit.
Eine dritte Ableitung legt sich innerhalb des Charakters durch Verbindung von abgründiger Hinterlist im Innern und starker Entschlossenheit im Äußern nahe. Ein derartiger Charakter wird sicher streitsüchtig sein.
Das Urteil für die Zukunft
Der Streit: Du bist wahrhaftig und wirst gehemmt. Sorgliches Innehalten auf halbem Weg bringt Heil. Zu Ende führen bringt Unheil. Fördernd ist es, den großen Mann zu sehen. Nicht fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren.
Kommentar von Richard Wilhelm:
Streit entsteht, wenn man im Gefühl seines Rechts auf Widerstand stößt. Ohne die Überzeugung des eigenen Rechts führt Widerstand zu Hinterlist oder gewaltsamem Übergriffen aber nicht zum offenen Streit.
Ist man in Streit verwickelt, so ist machtvolle Besonnenheit, die jederzeit zur Beilegung des Streites und zum Vergleich auf halbem Weg bereit ist, das einzige Heilbringende. Ein Verfolgen des Streites bis zum bitteren Ende ist, selbst wenn man recht behält, vom übel, weil man dadurch die Feindschaft verewigt. Es ist wichtig, den großen Mann zu sehen, d. h. einen unparteiischen Mann, dessen Autorität hinreicht, um den Streit friedlich beizulegen oder gerecht zu entscheiden. Auf der andern Seite ist es zu vermeiden, in Zeiten des Unfriedens »das große Wasser zu durchqueren«, d. h. gefahrvolle Unternehmungen zu beginnen, denn die bedürfen einheitlich zusammengefaßter Kräfte, wenn sie gelingen sollen. Streit im Innern lähmt die Kraft, die Gefahr im Äußeren zu besiegen.
Das Bild der Zukunft
Himmel und Wasser gehen einander entgegengesetzt: das Bild des Streites. So überlegt der Edle bei allen Geschäften, die er tut, den Anfang.
Kommentar von Richard Wilhelm:
Das Bild deutet darauf hin, daß die Ursachen des Streites in den zuvor schon vorhandenen entgegengesetzten Richtungen beider Teile liegen. Sind solche einander entgegenstrebenden Richtungen einmal vorhanden, so folgt der Streit mit Notwendigkeit. Daraus folgt, daß, um Streit zu verhüten, im ersten Anfang alles sorgfältig bedacht werden muß. Wenn Recht und Pflicht genau festgelegt sind, oder wenn bei einer Verbindung von Menschen deren geistige Richtungen zusammengehen, so ist die Ursache des Streits zum voraus beseitigt.